Handa Pollak

Handa Pollak

Handa Drori, geb. Pollak (*4. November 1931), ein "Mädchen von Zimmer 28"


Diese Seite entstand im Zusammenwirken mit Sandra Costa (Foto), Lehrerin an der portugiesischen Schule "Escola Secundaria da Maia", die im Rahmen des Schulprojektes MÚSICA E HOLOCAUSTO mit Schüler*innen ihrer Klasse ein Projekt zur Kinderoper Brundibár und zu einem der "Mädchen von Zimmer 28", Handa Drori,  geb. Pollak, durchführte. 


Das Gesamtprojekt war ein Beitrag zu dem von Yad Vashem initiierten Programm N.O.M.E.S. - die Initialen stehen für "Nomes e Olhares para a Memória e o Ensino da Shoá" - Names and Faces through Memory and Teaching about the Shoa. Die Wörter beziehen sich auf die Philosophie der International School for Holocaust Studies, Yad Vashem, deren Anliegen es ist, jedem einzelnen Opfer des Holocaust einen Namen, ein Gesicht und eine Stimme zu geben. https://musicaeholocausto.weebly.com/

Über die portugiesische Ausgabe des Buches Die Mädchen von Zimmer 28/ As Meninas do Quarto 28 erkannten Schüler*innen der Klasse von Sandra Costa, wie sehr die Geschichte der "Mädchen von Zimmer 28" mit der Geschichte der Theresienstädter Aufführungen der Kinderoper Brundibár verbunden ist und suchten Kontakt zu einer Überlebenden, die in der von Hans Krása (Komponist) und Adolf Hoffmeister (Librettist) geschaffenen Oper Brundibár mitwirkte. 


So kam es zu Gesprächen mit Handa Drori/ Israel, die sich über das Interesse der portugiesischen Jugendlichen freute und bereitwillig deren Fragen per Email und Telefon beantwortete. Am Ende gab es, Corona-bedingt, eine Zoom-Konferenz und nicht, wie ursprünglich geplant, eine Reise nach Israel. Das Projekt wurde auf einer Website dokumentiert:

Projekt Brundibár

 https://musicaeholocausto.weebly.com

Projekt Handa Pollak 

https://musicaeholocausto.weebly.com/sala-2---handa-pollak-drori.html

Muito obrigada Sandra

e alguns de seus alunos que trabalharam com muito afinco Inês Pinheiro, Inês D'Alte e Afonso Palma.


Der Link führt zur portugiesischen Website des Schulprojektes.

Projeto N.O.M.E.S. Handa Pollak

Die Biografie von Handa, wie auf der portugiesischen Website beschrieben, basiert auf dem Buch Die Mädchen von Zimmer 28. Sie wurde von den Schüler*innen frei übernommen und wird hier nicht Eins und Eins wiedergegeben. Die Schülerguppe hat jedoch im Rahmen einer umfangreichen Recherche weitere Einzelheiten und Dokumente ausfindig gemacht. Manches hebe ich in  grüner Farbe hervor.


Foto: Inês Pinheiro, Inês D'Alte e Afonso Palma.


Kindheit in Olbramovice

Handa Pollak wurde am 4. November 1931 in Prag geboren. Aufgewachsen ist sie in Olbramovice, einem kleinen Dorf etwa 60 Kilometer südlich von Prag, zwischen Benešov und Tábor. Dort besaß die Familie väterlicherseits einen großen Gutshof. Ich liebte den Hof, liebte die Tiere – und ich erinnere mich, wie gerne ich immer barfuss herumlief und mit den Tieren und den Kindern aus dem Dorf spielte. 

Als Handa vier Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Handas Mutter, Alice Pollak, war nicht für ein Leben auf dem Lande geschaffen. Sie reiste gern, liebte die Großstadt, besuchte Theater und Konzerte, am liebsten, wenn ihr Vetter, der bekannte Prager Rundfunk- und Theater-Kapellmeister Karel Ančerl, dirigierte.


Handa über ihren Vater Karel Pollak

Ich glaube, mein Vater war der einzige Mann, den alle, die ihn kannten, gern hatten. Er war Diplom-Landwirt, hatte in Halle/Deutschland Agronomie studiert und wusste über alles Bescheid, was Natur und Landwirtschaft betraf. Er war der einzige Lehrer, der imstande war, mich in die Geheimnisse der Mathematik einzuführen. Er war ein humorvoller Mensch und liebte alberne Witze, über die er so lachen konnte, dass ihm die Tränen in die Augen kamen. Er sang sehr gern, wenn auch falsch, und war handwerklich sehr begabt. 

Jüdische Tradition wurde in der Familie nicht gepflegt; weshalb Handa von ihrer Religionszugehörigkeit zum ersten Mal in der Schule erfuhr. In ihrem ersten Zeugnis stand unter Konfession: mosaisch. Ich weiß noch, wie ich damals meinen Vater fragte: Warum steht in meinem Zeugnis etwas ganz anderes als bei allen anderen? Und er antwortete: Ja. Wir sind Juden. Aber das ist nicht so wichtig. Wir sind Tschechen wie alle anderen. Das hier ist nur eine andere Religion.


Zwei Jahre besuchte Handa die örtliche Schule. Sie hörte, wie die Erwachsenen über die Gefahr aus Deutschland sprachen.  Aber jeder dachte,  dass die Tschechoslowakei stark und sicher sei und dass Hitler es niemals wagen würde, in das Land einzudringen, weil sie eine gute Armee hatten." Wie naiv!


Foto: Álice und Karel Pollak 

Noch schlugen sich die Ereignisse, die sich seit Hitlers Machtergreifung in Deutschland zur Katastrophe zusammenbrauten, in Olbramovice fast nur in Worten nieder. Worte, die daherkamen wie Gerüchte, Übertreibungen und unsinnige Theorien und daher leicht in den Wind zu schlagen waren.

Das änderte sich schlagartig mit der Besetzung der Tschechoslowakei am 15. März 1939. Ein endlos scheinender Zug deutscher Soldaten fuhr durch Olbramovice Richtung Prag.

Fassungslos standen die Bewohner am Straßenrand und starrten auf die vorbeiziehenden Militärs. Auch wir standen am Tor unseres Hofes, das direkt auf die Hauptstraße führte. Ich erinnere mich genau an das Gefühl, das mich packte. Auch wenn ich zu jung war, um zu verstehen, was wirklich vor sich ging, spürte ich, dass etwas Schlimmes im Gange war.

Unmittelbar danach begann die Einschränkung der Menschrechte für alle Tschechen, aber besonders für die jüdischen Tschechen. Auf dem Eingangstor unseres Gutshofes prangte in großen Lettern: Židi ven – Juden raus. Wir mussten fliehen.

Aus Handas Familienalbum

Fotos von l.n.r.: 1. Handa im Jahr 1934 │ 2. Handa im Alter von fünf Jahren │ 3. Handa bei Freunden. Sie war glücklich, weil sie eine Katze auf dem Schoß hatte. │4. Handa mit ihrer Großmutter,  Urgroßmutter und Mutter.   

 Vielleicht aufgrund des Einflusses ihres Vaters und des Kontextes, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, war Handa leidenschaftlich an Tieren und Natur interessiert, aber sie liebte es, viele andere Dinge zu tun - im Sommer schwimmen, Fußball spielen, im Winter Schlittschuh laufen, und sie las gerne Bücher, z.B. das "Dschungelbuch" von Rudyard Kipling. Handa stand ihren Großeltern, Tanten und Onkeln sehr nahe und besuchte und empfing sie regelmäßig. Sie waren eine große Familie.

Was folgte, war eine Odyssee nach immer wiederkehrendem Muster (...)

Nach der deutschen Okkupation gab es fast jeden Tag neue Beschränkungen, hauptsächlich für Juden, bis sie eines Tages nicht mehr als Landbesitzer zugelassen wurden. Karel Pollak versuchte eine Lösung zu finden und schlug einem nichtjüdischen Nachbarn vor, seine Farm pro forma zu kaufen, was dieser auch tat. Aber kaum war der Vertrag unterzeichnet, wurden sie vom neuen 'Eigentümer' vertrieben und die Familie zog nach Prag, wo die meisten ihrer Verwandten lebten.

Exil: Prag

In Prag angekommen, gab Karel seine Tochter in die Obhut seiner Schwester Else Kraus und deren Mann Rudi. Mit ihnen und deren Kinder Hans und Dora wohnten sie zunächst in der Veverkova-Straße 12. Der Familie gelang es, ein Zertifikat für die Abreise nach Palästina zu erhalten.

Nun zog Handa zu ihrer Mutter Alice in eine Villa in Prag-Dejvice,  Pod Borislavkou Straße 41. Alice hatte die Villa gemeinsam mit ihrer Schwester und deren Mann neu erbaut. Es war das erste Mal, dass Handa bei ihrer Mutter und ohne ihren Vater lebte, der bei seiner älteren Schwester Hana Stein und deren Mann Max unterkam. Handa genoss das Leben mit ihrer Mutter...


Doch bald wurden auch sie von den politischen Ereignissen eingeholt. Es war das Jahr 1941, und die Deutschen wollten unsere Villa haben und drängten meine Mutter und ihren Schwager dazu, ein Dokument zu unterschreiben, in dem sie erklären sollten, dass sie die Villa ‚freiwillig‘ ans Dritte Reich übergeben würden. Angeblich wollten die Deutschen die Villa für Karl Rahm, den wir bald darauf als Kommandanten von Theresienstadt kennenlernen sollten. Aber meine Mutter und Onkel Jaroušek, dessen Frau damals schon nicht mehr lebte, ließen sich darauf nicht ein, weshalb beide über Monate hinweg immer wieder zur Gestapo vorgeladen wurden. Man drohte Ihnen mit den Worten: Wenn Sie unterschreiben, werden sie geschützt. Wenn nicht, kann Ihnen etwas Schlimmes passieren. Sie unterschrieben nicht.


Es gab noch weitere ähnliche Fälle, und so schritten die deutschen Besatzer schließlich zur einfachsten aller Lösungen. Sie stellten einen Transport zusammen, vorwiegend aus Personen, deren Immobilien und sonstigen Besitztümer sie sich aneignen wollten. Auf die Transportliste eines solchen ‚Kapitalisten-Transports‘, wie sie genannt wurden, kamen auch Handas Mutter und Jaroušek, der Mann von Alices Schwester.  Ich erinnere mich an den Tag, als ich von meiner Mutter Abschied nahm. Wir waren beide sehr unglücklich. Niemand wusste, was passieren würde. Ich ahnte nur, dass es ein dunkler, ein schlimmer Ort sein würde, der sie erwartete. Aber keiner von uns dachte, dass es so schlimm kommen würde, wie es sich später herausstellte.

Handas Mutter Alice

Schüler*innen von Sandra Costa recherchierten nach Dokumenten von Handa und ihrer Familie. Vom Washington Holocaust Museum erhielten sie Kopien von Dokumenten aus dem Jahre 1941. Sie belegen, dass Handas Mutter mehrere Versuche unternommen hatte, das Land zu verlassen - über Brasilien in die Vereinigten Staaten  und nach Shanghai.

Abbildung 1: Beschlagnahmung des Besitztums von Alice Pollak │ 2. Auswanderungsantrag nach Shanghai. Er wurde am 20. Oktober 1040 bei der Prager Polizeidirektion eingereicht │ 3. "Zeugnis". Ablehnung des Antrags  am 7. November 1940 │ Registrierung von Handas Mutter in der Transport B-Liste vom 21. Oktober 1941 von Prag zum Ghetto von Lodz  

Alice Pollak wurde am 21. Oktober 1941 mit dem zweiten Transport von Prag in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz deportiert. "Ich wollte ihr einen letzten Kuss geben und ich habe sie nie wieder gesehen." Das Datum des Todes von Handas Mutter ist unbekannt. Ist sie in Lodz gestorben oder wurde sie in eines der Vernichtungslager deportiert, die inzwischen im Osten gebaut werden?

 

In der Zwischenzeit zog Handa in das Haus ihres Onkels Hans, dem Bruder  ihres Vaters, in die Maiselova 19. Sie blieb dort aber nicht lange, da ihr Onkel kurz darauf an einem Herzinfarkt starb.

 Handa lebte schließlich wieder bei ihrem Vater, dicht gedrängt in der Wohnung von dessen Schwester Hanička in Prag-Smichow. Bis im Herbst 1941 Karel Pollak dem Aufbaukommando nach Theresienstadt zugeteilt wurde.


Am 24. November traf dieser erste Transport in Theresienstadt ein – 342 junge Männer, Handwerker und Arbeiter. Sie hatten die Aufgabe, das Ghetto zu errichten. Man sagte uns, dass die Männer jedes Wochenende zurückkommen könnten. Aber das war eine Lüge. Kaum waren sie dort, schloss man die Tore hinter ihnen zu. Wir konnten uns nur von Zeit zu Zeit spezielle Postkarten schreiben, die zensiert wurden – dreißig Worte in deutscher Sprache und in Großbuchstaben. Etwa ein halbes Jahr war Handa ohne ihren Vater. Ich sehnte mich danach, zu ihm nach Theresienstadt zu kommen. Im Juli 1942 kam ich endlich hin, zusammen mit Tante Hanička. 


Ghetto Theresienstadt

Mit dem Transport AAr, Transportnummer 738 kam Handa am 16. Juli 1942 mit ihrer Tante Hanicka in Theresienstadt an. Als im Herbst 1942 das Gebäude L410 am Hauptplatz rechts neben der Kirche für tschechischsprachige Mädchen eingerichtet und die Mädchen nach Jahrgängen untergebracht wurden, kam sie, Jahrgang 1930, ins Zimmer 28.


Was Handa Pollak in Theresienstadt erlebte, das Leben im Zimmer 28, geführt von der Betreuerin Ella Pollak, die in Theresienstadt Handas Vater heiratete -  dies schildert das Buch "Die Mädchen von Zimmer 28"; auch  was sie erlebte, nachdem sie am 23. Oktober 1944 zusammen mit Helga Pollak und Ella Pollak nach Auschwitz-Birkenau transportiert wurden..... 


Abbildungen: 1. Karel Pollak │ 2. Ella Pollak │ 3. Brundibár. Standfoto aus dem Propagandafim 1944 │ 4. Handa Pollak um 1941 

Handas Notizbüchlein

Es gäbe noch viel zu berichten: zum Beispiel über Handas Notizbüchlein, das sie in Theresienstadt führte und das sie "Všechno" (Tschechisch für "Allerlei") nannte. Sie hatte es zu ihrem 11. Geburtstag am 4. November 1942 von Piňta Mühlstein erhalten. In dem Büchlein hielt sie allerlei fest: Notizen aus dem Unterricht, mathematische Formeln, Entwürfe für Geschichten, Theatersketche, Zeichnungen, Kritzeleien. Vor allem: Gedichte. Handa schrieb wunderbare Gedichte! Nachzulesen sind sie in dem Buch und dem Theaterstück Die Mädchen von Zimmer 28.

Die Gedenkstätte Beit Terezin in Israel veröffentlichte das Notizbüchlein Všechno (Abbildung rechts) und fügte tschechische und englische Übersetzungen hinzu.

Was die portugiesische Lehrerin Sandra Costa und ihre engagierte Schülergruppe Inês Pinheiro, Inês D'Alte und Afonso Palma leisteten, all dies kann hier leider nicht übersetzt und nachgezeichnet werden; aber man kann sich einen Eindruck verschaffen auf der von ihnen kreirten Website und, wer Portugiesisch kann, kann dies auch lesen:

Projeto N.O.M.E.S. Handa Pollak

Arbeitsblatt Handa Pollak

Ein Arbeitsblatt zu Handa Pollak ist im Rahmen unseres Room 28 Bildungsprojektes entstanden.  ZU gegebener Zeit werden die Arbeitsblätter über unsere Website zur Verfügung gestellt. Einige Arbeitsblätter sind enthalten in den Kompendien zum Bildungsprojekt.

Bildergalerie

Fotos v.l.n.r.: 1. Handa Pollak (mittig) mit Hanka Weingarten und Vera Kreiner in Überlingen 2005 │ 2. Handa Pollak (rechts) mit Hanka Weingarten, September 2006 in Spindlermühle │ 3. Die Schüler*innen Inês Pinheiro, Inês D'Alte und Afonso Palma │ 4. Handa Pollak mit ihrem Mann Chaim (links) im Deutschen Bundestag, 23. Januar 2008.

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